DIE MARIANN-STORY

Das letzte Zeugnis, die letzten verbliebenen, traurigen Reste eines ehemals stolzen Dreimastschoners, der »Mariann«, sieht man noch in der Braderuper Bucht bei Niedrigwasser aus dem Schlick ragen. Der Anker des einstmals stolzen Schiffes wurde 1976 bei Baggerarbeiten für den Ausbau des Yachthafens im Bereich der Hafenmole im Sylter-Segler-Club  gefunden und ziert heute das Clubgelände unter dem Flaggenmast.

Der Wunschtraum, auf dem alten Segler ein Café und Restaurant zu betreiben, verhalf der »Mariann« zu ihrer letzten Reise von der Westküste Schwedens nach Munkmarsch.


Die Idee dazu hatten die Pächter des alten »Witthüüs« in Wenningstedt am Dorfteich. Nachdem ihnen die Verlängerung des Pachtvertrages versagt wurde, wollten sie den Flair und die Romantik der »Witthüüs-Teestuben« im Bauch eines alten Seglers wieder aufleben lassen. Sie schrieben alle ihnen bekannte Institutionen an und erkundigten sich an der gesamten Küste, Reedereien und Werften wurden kontaktiert, ob denn nicht irgendwo ihr Traumschiff wartete, bereit zur Reise nach Munkmarsch. Und eines Tages war es dann soweit. Eine Rendsburger Reederei hatte guten Kontakt mit schwedischen Werften und folgte der Bitte, Verbindung aufzunehmen. Man hatte Glück und wurde schließlich fündig. Man hielt das Foto eines alten Dreimastschoners in der Hand, der sein jämmerliches Dasein in einer alten schwedischen Werft fristete.

Nach langen Diskussionen über die Vor- und Nachteile, Verhandlungen mit Ämtern und Behörden, fasste man schließlich 1959 den Entschluss, den Schoner zu kaufen und nach Munkmarsch zu holen.

Mit Freunden machte man sich auf die Reise nach Schweden. Der »König von Knippla«, jener alte Schiffsbauer, der die »Mariann« verkaufte, war ein zäher Verhandlungspartner, aber auch voll Begeisterung für alte Segelschiffe. Immer schwankend zwischen harten schwedischen Kronen und großzügiger Freigiebigkeit. Beim Anblick der herrlichen alten Seglerlaternen und der alten Schnitzerei am Heck der »Mariann« wurde man sich doch handelseinig.

Immer wieder musste die Abfahrt verschoben werden, denn ein Sturm nach dem anderen tobte über die schwedischen Felsen. Schließlich wurde mit den alten schwedischen Seefahrern Abschied gefeiert. Es floss viel Schwedenpunsch - kein Mensch verstand den anderen - die Stimmung war großartig.

lm Schlepp von zwei Fischkuttern trat die »Mariann« die Reise über Kattegatt und Skagerrak nach Sylt an. Ein weiterer Sturm zwang die Besatzung, Skagen als Nothafen anzulaufen. Das Einlaufen in Skagen machten die Dänen zu einem kleinen Volksfest: »Deutsche kaufen eins der letzten alten Segelschiffe« schrieben die Zeitungen. Die Mariann-Story ging durch die dänische Presse. Die Dänen nahmen Anteil und freuten sich, dass ein alter Windjammer vor dem Verfall bewahrt bleiben sollte.

Wochenlang lag man in Skagen fest. Ein Sturm nach dem anderen peitschte die Nordsee. Schließlich riskierte man die Überfahrt und mit jedem Hochwasser wurde der Schoner bis zu seinem von den Behörden zugewiesenen Liegeplatz an der alten Mole in Munkmarsch verholt. Letztendlich versagten jedoch die Ämter ihre endgültige Genehmigung für den Liegeplatz und den Betrieb für das Restaurant.

Die Mole wurde zwischenzeitlich vom SYLTER SEGLER-CLUB gepachtet und später vom Club gekauft. In der Sturmnacht vom 17. Februar 1962 riss sich die »Mariann« von ihrem Liegeplatz los und suchte sich einen neuen Platz unterhalb von Braderup der auch ihr Grab werden sollte. Das Flair und die Romantik der »Witthüüs-Teestuben«, ein schöner Traum sollte ein Traum bleiben.

Die wenigen, noch erhaltenen Aufbauten, Schanzkleid und Ruderhaus, vielen später einem Brandstifter zum Opfer.

STECKBRIEF:

Schiffsname: »MARIANN« ex »Britannia«

Baujahr: 1901

Länge ü.A.: 42,00 m

Breite: 7,50 m

Baumaterial: Steineiche

Planken: 7 cm dick

Spanten: 18 cm dick

1927 nach Einbau einer Hilfsmaschine mehrere Atlantiküberquerungen, im ersten Weltkrieg mit Lebensmittel von Schweden nach Deutschland;

1959 stillgelegt weil unrentabel; 1961 nach Munkmarsch verholt; 1962 im Sturm vor Braderup gestrandet.


Tante Lite`s Katüffelacker

VON HELGOLAND NACH HAMBURG VOR ÜBER 50 JAHREN

VON "DR. HANS"

Es war Ende Februar und eigentlich nicht die Zeit, die einem zum Segeln einfällt. Aber das Schiff sollte von Helgoland nach Hamburg gebracht werden. Es war für die Jahreszeit nicht zu kalt und der Wetterbericht war schmeichelnd. Die "Ydra" war ausgeräumt, die Tanks leer, wie sich das für den Winter gehört. Wir nahmen das mit, was man früher zum Segeln brauchte: eine Flasche Dry Sack und eine große Dose Macintosh. Wir setzten die Segel, Mein Kumpel Diet warf die Heckleine los und die Charter 37 drehte von der Pier ab. Ich ließ sie nach dem Lösen der Vorleine achteraus sacken, legte Ruder und dann nahmen wir die Segel dicht. Eine leichte Brise trug uns aus dem Hafen. Wir passierten die Ansteuerung und nahmen Kurs auf die Elbmündung.

 

Diet, der damals die "Kirsten", den Versorgungskümo der Insel fuhr, kannte das Revier wie seine Westentasche. Unser Kompass war nicht der zuverlässigste. Er hatte im letzten Jahr, als ich die "Ydra" aus dem Mittelmeer nach Helgoland gebracht hatte, unter der Hitze gelitten, so dass ich ihn mit weißem Bacardi auffüllen musste, um nicht immer durch die Luftblase zu gucken. Der rote Felsen versank im Dunst achteraus und wir waren guter Dinge, die einlaufende Tide in der Elbmündung zu erreichen. Der Wind lässt zwar deutlich nach aber die "Ydra" macht immer noch gute Fahrt, wenngleich wir noch leichten Strom gegen an hatten.

 

Als wir die ersten Tonnen erreichten, war der Wind ganz eingeschlafen und die Sicht wurde immer schlechter. Seenebel. Wir trieben mit dem Flutstrom am Rande des Fahrwassers elbaufwärts.

Cuxhaven's Kugelbake im Nebel
Cuxhaven's Kugelbake im Nebel

Den wenigen Wind nutzten wir, um Kurskorrekturen vorzunehmen. Langsam aber unvermeidlich zog uns der Strom auf Cuxhaven zu. Wir trieben dicht an den Spundwänden vorbei, jedenfalls glaubten wir aufgrund der Nebelsignale uns näher, als uns eigentlich lieb war. Die Frage war, wie wir aus der Kurve herauskommen würden, denn das Fahrwasser biegt südlich Cuxhavens nach Osten ab, so dass wir irgendwo bei Altenbruch auflaufen würden. Wenn, ja wenn wir eine Maschine gehabt hätten, die funktionieren würde, hätten wir uns auf die Hafenanlagen Cuxhavens zu getastet und dort abgewartet. So trieben wir weiter durch den Nebel. Es war später Nachmittag geworden und klammheimlich stellten sich Gelüste ein, die mit den vorhandenen Mitteln nicht zu stillen waren. Das war eher nebensächlich. Wir mussten verhindern, auf zu laufen, denn dann würden wir über Stunden festsitzen, andererseits war es gefährlich genug, im Fahrwasser unsichtbar zu treiben. Der Flutstrom war noch zu stark. Wir mussten Zeit gewinnen und hoffen, dass vielleicht doch noch eine Brise uns wieder manövrierfähig machen würde. Wir loteten mit einer Leine, denn Batteriestrom stand uns nicht zur Verfügung und somit auch kein Echolot.

Mir fiel die Geschichte von dem Kapitän ein, der sich anhand der Lotspeise durch die Elbmündung navigierte, bis zu dem Augenblick, wo der Lotgast das Lot vor Wut in die Kartoffeln des Smuts stieß, weil er dem in der Kajüte bequem wartenden Kapitän jeweils die Lotungen und die Lotspeise bringen musste. Der hatte daraufhin die Position mit: „Tante Lite`s Katüffelacker“ korrekt bestimmt.

Ich versuchte, jeden kleinen Hauch zu nutzen, um ostwärts zu kommen, während Diet mit dem Lot beschäftigt war. Schließlich schlug er vor, zu ankern.

Wir ließen den Anker fallen und warteten. Es war dunkel geworden. Weiter dichter Nebel. Der Flutstrom setzte immer noch, aber kein  Hauch war zu spüren. Wenn wir doch nur unsere komplette Besegelung hätten, jene Genua ultraleicht, die schon bei der Erwähnung des Wortes Wind anfing zu ziehen! Aber die war nicht an Bord. Wir warteten, bis der Flutstrom nachließ. Klar war auch, dass sich die anderen Sorgen machen würden, wir hatten uns bislang nicht gemeldet und, so war das eben früher in der Handy losen Zeit, auch keine Telefonzelle gesichtet und Strom für das Funkgerät gab es auch nicht, nur für den Fall, dass wir überhaupt eins gehabt hätten. Wir hatten nur eine fast leere Dose Macintosh und auch nicht mehr viel Dry Sack.

 

Die Elbe bei Glückstadt mit dem "Kartoffelloch"
Die Elbe bei Glückstadt mit dem "Kartoffelloch"

Bei nachlassendem Flutstrom lichteten wir den Anker und nutzten die leichte Brise, um uns ostwärts davon zu schleichen. Wir hielten uns auf der südlichen Fahrwasserseite und in der jetzt vollkommenen Finsternis konnte man sich schon besser orientieren. Es war still, das Geräusch der vorbeiziehenden Großschiffe war so laut, dass wir alle Anstrengungen unternahmen, ihnen auszuweichen und sie trotzdem nicht sahen. Die grünen Tonnen schienen wie durch einen Schleier, gaben uns aber einen Anhalt über unsere Position. Gut, dass Diet sich hier auskannte. Nur im kümmerlichen Licht eines Feuerzeuges war die Karte auch keine wirkliche Hilfe. Bei Stillwasser kreuzten wir die Fahrwasserseite und hielten auf Glückstadt zu. Ein bisschen noch, ein bisschen mehr Wind! Wir wollten aus dem Hauptfahrwasser heraus und schafften es bis zum Kartoffelloch.

 

Die Sicht wurde besser. Oben auf dem Deich war Licht zu erkennen. Vor uns Pfähle dahinter ein Steg. Können wir das schaffen, ihr müsst, knurrten unsere Mägen. Es fehlte wirklich nicht viel, aber dann kam der Ebbstrom und der war stärker. Er trieb uns wieder zurück. Wir ließen erneut den Anker fallen. In der immer spürbarer werdenden Kälte standen wir im Cockpit und blickten zu dem Gasthaus auf, dessen Lichter so nah und doch unerreichbar über den Deich schienen. Eine Weile standen wir so da ohne ein Wort zu sagen. Dann gingen wir nach unten, tranken den letzten Schluck Sherry und legten uns auf die Bänke. Es waren jene endlosen Stunden zwischen frösteln und frieren, wenn man eingenickt war und wieder aufwachte. Es herrschte fast eine absolute Stille. Unterbrochen nur von den abfahrenden Gästen hinter dem Deich und untermalt von dem Geräusch des vorbei fließenden Wassers. Ab und zu standen wir auf, um nach dem Stand der Tide und den Anzeichen von Wind zu sehen, Aber die Nacht blieb ruhig und kalt. Es würde keinen Sinn machen, mit dem einsetzenden Flutstrom in der Dunkelheit des Morgens sich weiter treiben zu lassen. Dafür war das Fahrwasser zu eng. 

Als wir im ersten Zwielicht nach draußen gingen, lag Raureif an Deck. Die Sonne war hinter dem hohen Deich aufgegangen und ließ uns im Schatten liegen. Der Strom war gekentert. Eine leichte Morgenbrise wehte aus Ost. Wir zögerten keinen Augenblick, setzten mit klammen Händen die Segel und segelten den Anker aus, halsten und liefen mit Südkurs aus der Glückstädter Nebenelbe aus. Jetzt einen Kaffee…Wir hielten uns gut. Um nicht im Hauptfahrwasser erneut hängen zu bleiben, blieben wir dicht unter Land und beschlossen, durch die Pagensander Nebenelbe zu laufen. Langsam stieg die Sonne höher und begann uns zu wärmen, soweit dies im Februar möglich ist. Wir hatten morgens einige Zeit verloren und fürchteten jetzt, erneut ankern zu müssen. Bald würde die Tide kentern. Wir segelten jetzt bereits bei Stillwasser. Südlich Lühe Sand war es dann soweit. Wir hatten uns die südliche Untiefentonne schon eine halbe Stunde angesehen wie sie sich langsam im Strom drehte, ohne an ihr vorbei zu kommen. Jetzt sackten wir langsam achteraus. Wir ankerten.

Ankern hinterm Deich bei Glückstadt
Ankern hinterm Deich bei Glückstadt

Drei Meilen noch bis zum Wedeler Yachthafen, drei Meilen zu Brötchen und Kaffee, drei Meilen bis zum nächsten Telefon, um sich zu melden, drei Meilen nur, aber nicht zu schaffen und es würde erneut dunkel werden.

Wir saßen im Cockpit in der Hoffnung, jemanden anpreien zu können. Aber wer sollte jetzt unterwegs sein? Ein Polizeiboot lief elbabwärts, …das Polizeiboot hielt auf uns zu! Wir standen ungläubig auf, kein Zweifel, die liefen genau auf uns zu. Schüchtern und vielleicht auch verlegen hoben wir die Hände. Am Bug war jetzt deutlich ein Mann zu erkennen, der uns anschaute. Sie drehten neben uns auf und dann überschlugen sich die Ereignisse. Fragen, wo wir gewesen waren, Nachrichten von Angehörigen, die einen Suchauftrag an die Behörden abgegeben hatten, die Meldung der Leitstelle in Cuxhaven, die im Nebel auf dem Radar ein Segelschiff gesichtet hatten, das dann vom Schirm verschwand. 

Weiter die übliche Mischung aus Neugier, Zweifel und Vorwurf. Wir stellten eine Leinenverbindung her und wurden von ihnen nach Wedel geschleppt. Vor der Einfahrt gingen wir längsseits und legten mit ihnen an. Kurt, der Eigner stand an der Pier, neben ihm stand ein Korb und der enthielt alles, was uns jetzt am meisten fehlte.

 

Diese kleine Reise fand vor etwa fünfzig Jahren statt. Ich denke heute noch häufig daran zurück. Die Selbstverständlichkeit eines Motors, Elektrizität und Funk, die Bequemlichkeit einer Heizung, die Sicherheit eines GPS und die Kommunikationsmöglichkeiten eines Handys, alles das hat unser Segeln verändert. Aber es hat uns auch viel genommen.

Euer Hans